Nachdem unsere Pläne in Medellin, aufgrund der Corona Infektion von Dr. Oliver Giminez erst vollends zu scheitern drohten, sind wir jetzt, am Ende dieses Freitages, doch noch positiv gestimmt. Nachdem ein plötzliches Unwetter eingesetzt hat, wurden wir abrupt mitten in der Nacht durch einen Alarm geweckt. Der philippinische Katastrophenschutz hatte eine Warnmeldung an alle Handybesitzer geschickt, um vor extremen Starkregen zu warnen. Den gab es dann auch…
Am frühen Morgen klarte dann nicht nur der Himmel wieder auf, sondern auch die vertrackte Planungslage.
Oliver ruft uns an, um uns mitzuteilen, dass die leitende Krankenschwester Doa uns gleich abholen wird, um mit uns das Gesundheitszentrum in Medellin zu besuchen, dessen Leiter Oliver ist. Auf dem Vorplatz stehen viele offene Pavillons, unter denen, durch Tische unterteilt, auf der einen Seite das Personal und auf der anderen Seite die Patienten sitzen. Dazwischen picken die Hühner auf dem Boden herum.Zur Zeit läuft noch immer eine erweiterte Impfkampagne, die gut angenommen wird, da mit dem Schuljahresbeginn die meisten Schulen eine Impfung als Voraussetzung für die Teilnahme am Unterricht verlangen. Doa zeigt uns den Ablauf, wie der Patient , der um Hilfe ersucht, bis zum Gespräch mit dem Arzt. Jeder füllt ein Formular aus und beschreibt seine Symptome. Alles und jeder, der hustet kann sofort in ein Isolationszimmer gebracht werden, nicht wegen des Coronaverdachts, sondern wegen Tuberkulose! Es gibt einen streng einzuhaltenden Ablaufplan, ebenso Tests und Impfungen. Es ist ein Problem, dass wir hier gar nicht wahrnehmen. Ähnliches gilt für Tollwut, die dort mehr als nur eine Herausvorderung darstellt. Die „Biß Sprechstunde“ ist jede Woche voll ausgelastet.
Alle anderen durchlaufen verschiedene „Stationen“. An den vorderen Tischen sind Health worker, die die Vitalwerte erfassen und zusammen mit den persönlichen Daten dokumentiert werden. Dann geht es ein paar Tische weiter, an denen die Krankenschwestern / Pfleger die Anamnese erheben und bei Bedarf an speziellen Medikamenten oder weitergehenden Untersuchungen an den nächsten Tisch weiterschicken, wo mit dem Arzt gesprochen werden kann, oder der Patient dann ins Gebäude vorgelassen wird, um Laborwerte oder weiterführende Therapie zu erhalten. Im Gebäudeeingang sind die Verwalterinnen der Akten hinter einem Berg von Papieren zu finden. Die gesamte Dokumentation erfolgt in Papierform, das Ordnungssystem ist eher ein Ortungssystem, dessen Geheimnis nur die zwei Damen am „Empfang“ kennen, aber zu hundert Prozent ALLES finden. Datenschutz existiert hier überhaupt nicht.
Wir treffen die zuständige Zahnärztin, die uns ihren Behandlungsraum zeigt und zusammengefasst ist die Standardmethode zum Beheben von Zahnproblemen ,das Ziehen des Zahnes. Zahnerhaltung erfolgt dort nur über präventive Aufklärungskampagnen in den Schulen, die aber leider in der Pandemie nicht haben stattfinden können.
Sie hätte gerne eine Assistentin und wünscht sich, dass die Reinigungskraft zuverlässiger putzen würde…. Diesen Wunsch teile ich mit ihr.
Alle Räume sind hochvollgepackt mit Kartons, im zentralen Behandlungsraum, in dem Oliver auch sein „Büro“ hat, ist es ähnlich, inmitten von Liege, zwei uralten Sauerstoffflaschen, Verbandmaterial und Schränken mit Medikamenten, steht sein Schreibtisch, der ebenfalls vor Papieren überquillt.
Ich frage Doa, wie die Versorgung der weitläufigen Gemeinde organisiert sei. Health Worker werden in die verschiedenen Gemeinden (Barangays) geschickt, die dort zum einen Präventionsmassnahmen und Monitoring der Bevölkerung durchführen , die aber auch die ersten Ansprechpartner bei gesundheitlichen Problemen sind. Wenn diese nicht weiter wissen, nehmen sie Kontakt mit einer Krankenschwester des Gesundheitszentrums auf, die dann ihrerseits, je nach Situation, Oliver kontaktiert, der dann entweder einen Transport organisiert oder selbst dorthin fährt. Eine gute Ausbildung der Health Worker ist die entscheidende Basis für eine zielgerichtete Behandlung.
Das nächstgelegene Krankenhaus ist vom Gesundheitszentrum in ca 30 – 45 Minuten erreichbar. Der Rescue Dienst schafft die Strecke in der Hälfte der Zeit, ob dieser zum Einsatz kommt, entscheidet Oliver.
Die Entfernung zum Krankenhaus ist auch der Grund, weshalb die Geburtsklinik keine Erstgebärenden und zu erwartenden schwierigen Entbindungen annimmt. Am Eingang, neben der seit 30 Jahren praktizierenden Hebamme, liegt dann auch, fast symbolisch, eine hochträchtige Katze. Sie gehört zum Team. Die Hauptaufgabe, neben den Entbindungen, liegt im Schulungs- und Aufklärungbereich. Auch hier sieht die Hebamme pandemiebedingt, eine deutliche Zunahme von Teenagerschwangerschaften, Aufklärung über Familienplanung konnten nur über die Radiosendungen, die Oliver einmal wöchentlich mit Mitarbeitern seines Zentrums abhält, oder über Onlinekampagnen durchführen. Leider ist aber vielen der Zugang zu diesen Medien verwehrt. Familienplanung wird hier für jeden frei zugänglich möglich gemacht, die Hebammen sind geschult, Verhütungsmittel wie Spiralen oder Hormonstäbchen zu implantieren. Dies erfolgt jeden Montag und gibt den Frauen Sicherheit, nicht durch noch mehr Kinder weiter in die Armut zu fallen.
Auch hier zeigt sich die Wichtigkeit einer intensiven und qualitativ hochwertigen Weiterbildung. Die in den entlegenen Dörfern ansässigen Health Worker haben eine Schlüsselrolle auch in der Nachsorge nach Geburten, Kindbettfieber und Anpassungsstörungen der Neugeborenen sind immer noch ein trauriges Thema. Als wir die Geburtsklinik verlassen, folgt uns die klinikeigene Katze und legt sich entspannt in die Sonne, beispielhaft für Vieles hier: „was kommt, kommt, irgendeine Lösung wird sich schon finden…“