, kurz nach fünf Uhr und wir haben unsere erste Nacht in Batang Pinangga geschlafen. Hier in Carmen gibt es keine Möglichkeit, ein Telefonnetz zu bekommen, seit ein Unwetter vor zwei Monaten die Leitungen zerstört hat, und die vor ebenso langer Zeit angeforderte Reparatur , durch den Telefonanbieter noch immer nicht durchgeführt wurde. Gut, dass zur Zeit noch Ferien sind. Tatsächlich ist noch immer nicht gesichert, ob der Schulunterricht nach den Ferien wieder wieder in der Schule selbst oder doch wieder teilweise online stattfinden wird. Die interne Kommunikation auf dem weitläufigen Gelände erfolgt momentan über Funkgeräte und das sehr effektiv…
Gestern waren wir in Pit Os, ca eineinhalb Autostunden enfernt, im Half Way House.
Dort wurden wir von den Kindern, die dort leben herzlich begrüßt. Es hat sich einiges verändert, seit wir da letzte Mal dort waren. Ein großes, farbenfrohes Schild ist über dem Eingang des Gebäudes angebracht worden, und es rührt mich an zu sehen, wie es unsere Verbindung zueinander wiederspiegelt. Zur Zeit lebt dort auch noch Michael Albano, der im Frühjahr seinen Bachelor of Arts an der Uni in Cebu abgeschlossen hat, und er hat dort wie auch hier in BP sein künstlerisches Talent eingebracht. Die Bilder, die vor allem die Alltagssituationen der Menschen darstellen, sind so lebensecht, dass man sich selbst tatsächlich als direkter Beobachter fühlt, und ich selbst habe nicht wirklich einen Bezug zu Kunst. Jetzt schon, denn die neuen Sanitäranlagen, die wir als Aktion Wasserbüffel mit unterstützt haben, wurden aufgrund meiner Überzeugung der Wichtigkeit, einen sauberen Zugang zu denselben haben zu können, „Kathi‘s Place“ genannt, und ein großer Schriftzug mitsamt einer Katze als Motiv, ziert jetzt das Gebäude. Wer die Toilette aufsucht, sagt tatsächlich:“ ich gehe zu Kathi‘s Place“.
Die Wasserversorgung erfolgt über einen neuen 1000 Liter Tank, die Qualität des Wassers wird durch Reinigungsfilter soweit erhöht, dass es zum Kochen reicht, Trinkwasser muss weiterhin zugekauft werden.
Nach wie vor spielt der Termitenbefall der hölzernen Gebäudekonstruktionen eine wichtige Rolle in der Erhaltung der Grundsubstanz. Eine spezielle Imprägnierung der Bauplatten ist möglich, dadurch verdoppelt sich der Preis für eine Platte von 10 auf 20 Euro. Die permanente Luftfeuchtigkeit von über 70 Prozent (zur Zeit bei 80 bis 90%, man schwitzt sogar in den Ohren) trägt nicht positiv zum Erhalt bei.
Das Gebäude selbst ist wie immer, tip top sauber und aufgeräumt. Was auch sofort auffällt, es gibt nirgend wo Müll. Das wird einem umso bewusster, da man auch schon auf dem Weg hierhin sieht, dass dieser einfach überall herumliegt und hingeworfen wird. Die Kinder lernen hier, und auch von Anfang an in BP, dass Müll zu vermeiden und nicht an jeden beliebigen Ort wegzuwerfen ist. Ein riesiges Problem, dass hier nur durch Eigenverantwortung erlernbar zu sein scheint, inwieweit dieses Infrastrukturell möglich ist, weiß ich nicht, bewundere aber die konsequente Umsetzung des bewußten Umgangs damit hier im Half way House und auch in BP.
Ein weiterer, emotionaler Moment ist zu sehen, dass die Erinnerung an meine Schwiegermutter, große Bilder und ein Tisch mit Blumen und einem Eulenpaar (sie hat Eulenfiguren geliebt), steht dort, und vor allem für Ida, die hier noch nie gewesen ist, und nur aus Erzählungen und von Fotos die Zuneigung der Menschen hier für ihre Omi kennt, ist überwältigt und kämpft mit ihren Gefühlen.
Zum vorbereiteten Essen kommt auch eine langjährige Partnerin von uns: Kati Jacela, die seinerzeit das Strassenkinderschulprojekt mit initiiert und durchgeführt hat.
Es ist schön zu sehen, dass Ida von Allen sofort ohne Scheu angenommen wird und sich sofort angeregte Gespräche entwickeln. Wahrscheinlich ist es für die Jugendlichen einfacher, sich mit jemandem ihres Alters auszutauschen…. Sie gibt ihnen auch später im Austausch mit mir und meinen Fragen die Sicherheit, einfach drauflos zu reden und sich ungezwungen zu fühlen.
Nach dem Essen sitzen wir gemeinsam zusammen. Michael,Dio, Jerzy, Lynn und unsere Stipendiaten Jessie und Stephanie. Stephanie ist nicht wieder zu erkennen! Sie strahlt ein Selbstbewußtsein und Stärke aus, die bei unserem letzten Besuch , noch vor den physiotherapeutischen Maßnahmen, zu erahnen waren, sich seitdem vollends haben entfalten können. Sie hat Körperspannung entwickelt und trainiert, ihre Aussprache ist deutlich und sie beteiligt sich angeregt an den Gesprächen. Zudem ist sie eine excellente Schülerin und wird in 1,5 Jahren ihre Ausbildung im Informatikbereich als Programmiererin abgeschlossen haben. Für sie ist zur Zeit leider nur online Unterricht möglich, Pandemie bedingt gibt es keinen Unterricht in der Schule, sondern nur online von Manila aus. Es ist noch nicht klar, ob sich das zum Schulstart Anfang September geändert haben wird. Ihr fehlt der Kontakt zu den Mitschülern und das Schulleben, in das sie auch mit ihren körperlichen Einschränkungen, voll integriert ist.
Jessie befindet sich nach den Ferien im 4. Jahr seines Bachelor degrees in Marketing. Er absolviert sein Studium in Teilzeit, da er sich selbst versorgen muss und nebenher einer Teilzeitbeschäftigung in einem Call Center nachgeht. Sein Traum ist es, mit einem guten Abschluss irgendwann in die Niederlande gehen zu können.
Michael, der seinen Abschluß schon erreicht hat, wartet nur noch auf seinen Reisepass, denn er hat die Möglichkeit in Rom über ein Stipendium sein Wissen über Kunstgeschichte zu erweitern. Zur Zeit führt er mit den Kindern kleinere Kunstprojekte durch und lässt sie sich über das Malen ausdrücken.
Er ist glücklich, seine einzige Sorge gilt Anna und Butch, sie sind seine Familie, er selbst ist Waise und hat keine weiteren Angehörigen, er möchte sie nicht allein lassen und will für sie sorgen, wenn sie älter sind.
Ein weiteres Mädchen in der Runde, Lynn, befindet sich in der Ausbildung zur Hotelfachfrau, sie sieht,völlig reflektiert, eine erfolgreiche Zukunft für sich, die sie aufgrund von Ausbildung und Schule nur hat erreichen können.
Es ist schön zu sehen, dass diese jungen Erwachsenen erkannt haben, wie wertvoll sie sind, und Ihnen bewußt ist, das Bildung für sie der Schlüssel zum Erfolg ist.
Im späten Nachmittag fahren wir dann nach Batang Pinangga. Gerade richtig zur Abendbrotzeit kommen wir an, es herrscht ein großes Durcheinander, 30 aufgeregte Kinder kommen schlagartig zur Ruhe, als das Dankesgebet gesprochen wird. Im Kreis stehend sagt jedes einen Dank und einen Wunsch, auch wir tun dies und danach wird zusammen gegessen. Erst nehmen sich die Kinder ihr Essen, erst dann sind die Erwachsenen an der Reihe.
Für die zwei Nächte, die wir hier bleiben werden, bekommen wir ein ganzes Haus zur Verfügung gestellt. Das Duschen ist bis zu dem Moment einfach nur wunderbar, bis die Wasserhahnkonstruktion einfach abbricht und das Wasser direkt aus der Wand in den Raum schießt… Die Lösung des Problems ist klassisch philippinisch… mit dem Hammer wird ein ungefähr passender Stopfen in das Loch geschlagen…fertig! Es wird in Kürze dann wieder richtig in Stand gesetzt werden…
Nach dem Essen treffen wir uns alle in der Gesellschaftshalle, wo die Kinder sich kurz einzeln vorstellen und danach ein Aufführung traditioneller Tänze und moderner Lieder zeigen.
Die Stimmung ist ausgelassen und die Kinder haben wirklich Spaß daran, ihre Choreographien zu zeigen.
Es ist sehr bewegend, die Begrüßungsworte zu hören und wir sind selbst fast ein wenig verunsichert, wie wir diese zurückgeben können. Wir überreichen den Odiliensegen, den wir von Pfarrer Peter Dries, mitsamt dem Weihwasser erhalten haben. Ida trägt diesen auf Englisch vor, es ist still im Raum, die Botschaft wird einfach nur mit Freude und Dankbarkeit angenommen. Jedes Kind erhält nun noch ein Buch und Kleinigkeiten. Alle sind zusammen einfach glücklich und zufrieden.
Auf dem Weg zum Haus hüpfen uns die Frösche auf die Füße, die hier nachts ihren Routenverlauf haben. Es ist ein sehr langer Tag gewesen und wir sind nur noch müde….
Ein weiterer Tag in Batang Pinangga ist zu Ende gegangen. Gerade habe ich mir noch ein Glas Wasser aus der bereitgestellten Gallone genommen. Sauberes Trinkwasser ist auch hier leider nur durch Zukauf möglich. 10 Liter gereinigtes Wasser kosten ca 50 cent. Nachdem ich heute gesehen habe woher das Brauchwasser kommt und wie es aus den Bergen von der Quelle bis hierher gelangt, haben wir ein schlechtes Gewissen, den Hahn überhaupt aufzudrehen. In diesem Jahr gab es ausreichend Regen, um die Speichertanks stets gefüllt zu haben und auch die Quellen, aus denen das Wasser hierher geführt wird liefern ausreichende Mengen zur Bewässerung der Felder und zur Versorgung der Haushalte.
Zunächst haben wir aber nach dem gemeinsamen Frühstück um Punkt 7:30 die Batang Pinangga Farm aufgesucht. Durch die geleistete Unterstützung kann derzeit die Gemüse und Frischobstversorgung für den Bedarf des Kinderdorfes zu. 100 Prozent gedeckt werden. „Papa William“ ist der betreuende Farmer dieses Projektes und berichtet von den Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen haben. Der Anspruch, organic farming auch rein ökologisch zu betreiben, verursacht immer wieder hohe Ernteverluste durch Schädlingsbefall und in vielen Dingen, wie der Qualitätsanspruch an den selbstproduzierten Humus und auch die Saatgutqualität, lässt William oft ratlos zurück. Er würde sich in diesem Bereich Hilfe und Rat wünschen. Zwei Nachbarfarmen betreiben erfolgreich eine derartige Farm, sie beliefern mittlerweile auch verschiedene Hotels und Supermärkte, Corona bedingt lehnen diese aber jeden Kontakt ab.
Ein weiteres Problem stellt das „Anzapfen“ der Wasserleitungen dar, die William immer wieder zu anstrengenden Touren in die Berge zwingt, um eine ca 2,5km lange, quer durch Flußbette und den Dschungel verlaufende Leitung auf Lecks oder ähnliches abzusuchen. Wir haben uns den Wasserleitungsweg von den Quellen bis zum Hahn in Teilen mit ihm angesehen, das war für uns so überhaupt nicht begreifbar, dass das überhaupt funktioniert und um das System zu verstehen muss man William sein. Wir haben die Ziegen, die dort überall grasen, um ihre Fähigkeit des Kletterns und Springen extrem beneidet…
Auf unserer Tour trafen wir auch auf einen Köhler, der dort mitten im Busch Holzkohle herstellt, er benötigt für 50 Säcke a 50 Liter, ungefähr eineinhalb Tage und verkauft diese für umgerechnet 10 cent pro Sack.
Dieses Erlebnis war am Ende eines langen Tages, zuvor hatte Ida nach der Besichtigung der Farm und des „Place of Reflecion“ Hauses mit den Kindern Pomseübungen aus dem Taekwondo durchgespielt. Das war super! Selten habe ich so aufmerksame Gesichter gesehen, und begeistert hatten fast alle die einzelnen Bewegungsabläufe verinnerlicht und konnten sie als Gruppe mit 25 Kindern gleichzeitig durchspielen.
Ein weiterer positiver Höhepunkt unseres Rundganges ist die fast fertig gestellte erweiterte Solaranlage, die wir durch die Unterstützung der „Heider-Kober-Stiftung“ haben realisieren können!
Die Panele sind auf dem Dach des „Helga Hauses“ installiert und die Batterie mitsamt des restlichen Equipments sind installiert. Mit dieser weiteren Anlage wird BP fast zu hundert Prozent autark von externer Stromzulieferung sein.
Während Ida mit den Kindern beschäftigt war, hatte ich die Gelegenheit zum ausführlichen Gespräch mit der in BP zuständigen Sozialarbeiterin zu sprechen. Maria de los Nieves F. Romeral ist 60 Jahre alt und ist die leitende Sozialarbeiterin des „community resident programs“. Sie ist seit 2006 für dieses Programm tätig , seit 2014 trägt sie die alleinige Verantwortung für das ganzheitliche Case Management jeden Kindes in Batang Pinangga. Ein in Obhut zu nehmendes Kind wird von der lokalen staatlichen Behörde in Batang Pinangga vorgestellt, Maria übernimmt ab diesem Moment die gesamte Koordination aller weiteren Maßnahmen, die für die seelische und körperliche Genesung des Kindes erforderlich sind. Das erschütternde ist, dass der Staat die Kinder offiziell in Obhut nimmt, die Kosten für die „Sozialarbeiter koordinierten Hilfsmaßnahmen“ trägt, die Kosten für die oft viele Jahre dauernde Grundversorgung wie Ernährung, Unterbringung in Einrichtungen wie Batang Pinangga, die eine lizensierte und jährlich überprüfte Aufnahmegenehmigung für Kinder aus Inobhutnahmen haben, weiterführende Schulbildung, generelle Lebenshaltungskosten….noch nicht einmal teilweise übernimmt. Dadurch ist Batang Pinangga gezwungen, immer wieder auf‘s neue Fördergelder zu akquirieren. Durch die Pandemie ist dieser Druck noch deutlich angestiegen, auch hier schlägt die Inflation deutlichst zu Buche. Der Benzinpreis liegt hier bei 1,39Euro pro Liter, ich weiß nicht, wie das Gewusel in den Straßen überhaupt noch zustande kommt. Transportkosten sind hier exponentiell gestiegen, viele Fahrer der kleinen Tricycles kämpfen ums Überleben, auch die Kinder aus BP werden in Zukunft etwas weiter zu Fuß gehen müssen.
Nach dem Mittagessen haben Anna, Butch, Maria und ich die Gesamtsituation in Batang Pinangga intensiv besprochen. Die Pandemie hat große Lücken in die Versorgungssicherheit gerissen und die Folgen sind noch lange nicht vorbei. Ohne unsere Unterstützung wäre die Situation um ein vielfaches schlimmer, das wird sehr deutlich.
Den traurigen Höhepunkt bildet die bisher finanzierte zahnärztliche Versorgung. Eine Gruppe Zahnärzte aus Japan ist jedes Jahr zur kostenlosen Versorgung und Prophylaxe ins Kinderdorf gekommen. Mit Beginn der Pandemie brach kommentarlos jeglicher Kontakt ab. Weder wurde auf Anrufe noch auf e-mails reagiert. Ohne auch nur eine einzige Mitteilung war das gesamte Versorgungsprojekt beendet. Eine Anfrage zur Unterstützung haben wir für dieses Jahr anteilig übernommen, wir werden uns nach meiner Rückkehr intensiv um neue Sponsoren für diesen wichtigen Baustein in der Prävention kümmern.
Es ist generell sehr schwierig, auf bisherige Unterstützer zu zählen, Sponsoren aus dem direkten Umfeld sind oft selbst in finanzielle Schwierigkeiten geraten oder meiden den Kontakt aus Sorge, infiziert werden zu können. Butch, Anna und ihr gesamtes Team sind in großer Sorge.
Nach über vier Stunden sehr offenen und ehrlichen Austausches raucht mir der Kopf und wir alle gehen zum gemeinsamen Abendessen. Worum ich heute beim Dankesgebet vor dem Essen bitte, ist sehr einfach…
Auch nach dem Abendessen sitzen wir noch zusammen, um über mögliche Massnahmen und aktuelle Bilanzen zu sprechen.
In dieser Nacht regnet aus Strömen – der Himmel weiß Bescheid
Schon wieder ist ein Tag um, mittlerweile ist es Donnerstag und heute morgen haben wir nach dem Frühstück Batang Pinangga verlassen. Erneut sind wir als Reisegruppe aufgebrochen. Anna und Butch haben Termine in Cebu City, wir fahren in die entgegengesetzte Richtung, nach Norden. Dort wollen wir uns mit Dr. Oliver Gimenez, dem leitenden Arzt des dort ansässigen Gesundheitszentrums treffen.
Die zerstörten Telefonleitungen und die damit verbundene Nichterreichbarkeit wird uns zum Verhängnis. Oliver ist akut an Corona erkrankt, das positive Testergebnis liegt in meinem messenger, den ich nicht habe einsehen können. Der Anruf geht erst zu uns durch, als wir in Medellin ankommen.
Wir sind scheinbar im Paradies angekommen, das Meer ist kristallklar und schimmert in allen Blau- und Türkistönen , am Strand sieht man, wie die Schneckenhäuser in allen Größen plötzlich Beine bekommen , und weil gerade alles so ist, wie es ist, gehen wir einfach ins Wasser und genießen diesen Moment.
Wir werden unsere Pläne leider ändern müssen. Morgen früh wird uns ein Kollege von Oliver abholen und zum Gesundheitszentrum bringen. Ihn selbst könnte man voraussichtlich am Sonntag sehen, aber, um Ida zu zitieren: „ich hasse es, wenn sich Sachen auf Unnötig ändern…!“